«Sie machen ja sicher ein regelmässiges Bewegungstraining?» – Die ärztliche Standardfrage bei jeder TNF-Alpha-Therapie lässt mich auch nach vielen Jahren noch jedes Mal erzittern.
«Nein, und ich bin ein Sportmuffel – könnten wir jetzt bitte über etwas anderes sprechen?», wäre die ehrliche Antwort.
Was ich jeweils heraus stottere, liegt eher in der Gegend von: «Ach wissen Sie, so kann man das nicht sagen, ich, ähm… ich bin gern draussen, Spazieren, auf der Piste, und bin im Alltag fast immer mit dem… äh, dem Velo… unterwegs.» Währenddessen deute ich vielsagend auf den Helm neben meinem Rucksack. Wie wenn ich krampfhaft betonen wollte: Das ist der physische Beweis für das kleine bisschen Bewegung, das ich dem Körper gönne, der viel mehr davon nötig hätte. Ich tue was! Ha!
Je nach Stimmung des Arztes oder der Ärztin schiebe ich dann – den Blick irgendwo nach draussen richtend – nach: «Also, mit dem eBike, wissen Sie.»
Die skeptischen Blicke kenne ich zur Genüge, die Frage «Sie wissen aber schon, dass es Bechterew-Therapiegruppen gibt?» überspiele ich, der tendenziell faule Bildschirmarbeiter, von Mal zu Mal gekonnter mit einem flapsigen Spruch oder einem süffisanten Lächeln.
Ich war nie der Gruppenbewegungstyp. Als einziger meiner Primarklasse blieb ich der Jugendriege fern – in einem kleinen Dorf auf dem Lande ein Sakrileg. Die herbstlichen Circuit-Trainings mit den Eltern («Weisch, damit du fit bist für die Piste») waren mir ein Graus. Später setzte es am Anfang meiner Bechterew-Karriere «MTT» ab, eine Art Höchststrafe, und ich bin mir heute noch sicher, dass die drei Buchstaben nicht für «Medizinische Trainingstherapie», sondern für «Mad Tricky Torture» stehen.
Sport treiben in geschlossenen Räumen vor anderen Menschen! Sich anstrengen und dabei auch noch schwitzen! Auf Maschinen, auf denen andere zuvor schon Bäche geschwitzt haben! Welch ein Alptraum.
Da kam die Erfindung des Velos mit elektrischem Hilfsantrieb gerade noch rechtzeitig vor meiner kompletten Einrostung. Dummerweise sind eBikes oder Pedelecs, wie die Flitzer neudeutsch heissen, saumässig teuer. Doch meine neue Bleibe lag an einem fiesen Hügel – wann, wenn nicht jetzt, war es Zeit, ein Elektrovelo anzuschaffen und halt wohl oder übel einmal auf grosse Ferien zu verzichten? Täte ich es nicht, würde ich den ohnehin zu selten benutzten altmodischen Göppel sowieso nie mehr ausfahren und im öffentlichen Verkehr noch mehr Erreger auflesen, die mir unter dem TNF-Alpha-Hemmer mehr als früher Mühe machen.
Es war die beste Entscheidung meines Bewegungslebens: Kaum war das schnelle Ding mein, war ich fast nur noch an der frischen Luft unterwegs. Entdeckte neue Ecken rund um Bern. War im Nu überall, wo ich sein wollte – an Sitzungen (unverschwitzt!), im Laden, am Bahnhof, ja selbst Velotouren unternahm ich das erste Mal seit meinen Teenagerjahren. Ein Auto hatte ich zeitlebens nie besessen – doch nun fühlte es sich an wie mit fahrbarem Untersatz, denn natürlich hatte ich ein «schnelles» eBike angeschafft, das eine gelbe Nummer benötigt. (Alles andere ist Kinderspielzeug, sei hiermit all jenen mitgegeben, die einen Kauf erwägen.)
Das eBike ist ideal für leichte sportliche Betätigung ohne übergrossen (und womöglich schmerzhaften) Kraftaufwand – ketzerische Bemerkungen von Freundinnen und Freunden kontere ich mit: «Hey, weisst du eigentlich, wie schwer der Akku ist? Das ist fast wie doppelt so viel Gewicht an der Hantel!» Und plötzlich ist es mir egal, wenn man mich für en fuule Siech hält: Sollen die doch miefend zum nächsten Meeting erscheinen oder ihre Kinderanhänger lahm keuchend auf die Berner Hügel ziehen! Ich verstosse mit meinem «Raleigh Dover» lieber gegen ungeschriebene Coolheitsgebote, bin dafür aber bei fast jedem Wetter am Velo fahren. Fiese Sprüche motivieren mich höchstens, nur die tiefsten Unterstützungsstufen des Hilfsantriebs einzustellen. So bekommt man einen ordentlichen Pulsschlag.
«Soll ich Ihnen nicht wenigstens sechs Physio-Sitzungen verordnen?» Die Dosis des TNF-Alpha-Hemmers war wieder mal drin, Assistenzärztin Hubschmid holte mich zum Schluss wieder in die alte Spirale von schlechtem Gewissen aufgrund akuter Untätigkeit zurück. Zwecklos: Auch wenn mein Elektrovelo keine Therapie ersetzt, so hält es mich doch in ständiger Bewegung, was für einen Bechti zentral ist – und das erst noch im ganz normalen Alltag. Seit dem eBike machen die vielen Wege von A nach B viel mehr Spass, und ganz verordnungsfrei mache ich freiwillig – o Wunder – Umwege über C und D.
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