Es gibt Ereignisse in unserem Leben, die wir nie vergessen werden. Erinnern Sie sich, was Sie taten, als Sie von den Terroranschlägen von 2001 in New York hörten, als John Lennon oder Ueli Steck starben oder an den Moment eines glücklichen Familienereignisses? Ich gehe jede Wette ein, dass sich Menschen mit Morbus Bechterew erinnern, wie und wann sie die Diagnose bekommen und erfahren haben, dass die Ursache ihrer Symptome einen Namen hat.

Auch ich kann mich sehr deutlich an meinen ersten Anfall von seltsamen, tiefen Rückenschmerzen erinnern. Ich war 24 Jahre alt. Damals konnte ich nicht wissen, dass diese Rückenschmerzen wichtig werden, und doch habe ich intuitiv ihre Bedeutung gespürt. Ich war Studentin und hatte gerade einen fantastischen Sommerjob, bei dem ich mich um drei Rennpferde kümmerte. Ich erinnere mich, dass ich ein heisses Bad nahm und den Schmerz mit all meiner Kraft bekämpfen wollte. Und sie gingen weg – zumindest für eine Weile.

Hoffnung auf Irrtum

Nun spule ich 31 Jahre vorwärts, bis zu dem Tag, als ich im Alter von 55 Jahren die Diagnose bekam. Es war ein lebensveränderndes Ereignis, und endlich hatte ich eine Erklärung. Die Beantwortung des Fragebogens beim Rheumatologen war fast surreal, die Fragen passten so genau zu mir! Ich spürte eine enorme Erleichterung, dass mein Leiden einen Namen hatte. Ich war erstaunt, wie ich es so lange geschafft hatte. Ich fühlte Bitterkeit gegenüber den Ärzten, die mir im Laufe der Jahre erzählt hatten, dass ich einfach eine gekrümmte Wirbelsäule, zu schwere Perioden oder psychosomatische Probleme habe. Ich schämte mich auch, dass ich dem Problem nicht selber auf die Schliche gekommen war. Mein Grossvater hatte schon Morbus Bechterew, wie auch mein Bruder, aber schon vor vielen Jahren hatte man mir gesagt, dass Morbus Bechterew eine Männerkrankheit sei, und ich hatte diese Information nie in Frage gestellt. Schliesslich fühlte ich Traurigkeit und Angst. Morbus Bechterew ist eine Autoimmunerkrankung, was bedeutet, dass mein eigenes Immunsystem mich angreift und mich krank macht. Ich las im Internet Horrorgeschichten über die Schwierigkeiten der Behandlung und mögliche Krankheitsverläufe. Mein Grossvater starb ganz jung, und ich hatte die Leidensjahre meines Bruders miterlebt. Wie würde ich das bloss schaffen?

Ich fragte meinen Rheumatologen, ob er sich irren könnte. Er sagte, dass es keine andere Krankheit gab, die die Veränderungen an meiner Wirbelsäule verursachen konnte. Also war der Morbus Bechterew wohl ein Teil von mir. Ein Teil, den ich nicht akzeptieren wollte. Ich konnte nichts Gutes daran sehen, dass ich Morbus Bechterew hatte.

Das grosse «Aufflackern»

Die Diagnose fiel mit einem starken Krankheitsschub zusammen. Ich konnte kaum gehen, als ich morgens aufstand, und verbrachte fast eine Stunde damit, Übungen zu machen, um die Steifigkeit zu reduzieren. Der Rest des Tages fühlte sich an, als würde ich durch Schlamm gehen. Die enorme Erschöpfung – die sogenannte «fatigue» –, die mit einer Autoimmunerkrankung einhergeht, ist schwer zu beschreiben. Ich hatte oft diesen überwältigenden Wunsch, mich genau dort hinzulegen wo ich war, und einfach meine Augen zu schliessen. Ich frage mich, ob die Menschen um mich herum das je bemerkt haben. Manchmal würde ich diese Menschen gerne kontaktieren und ihnen sagen: «Tut mir leid, dass ich an diesem Tag so uninteressiert war. Sorry, dass ich mich nicht wirklich mit dir beschäftigt habe, bitte nimm es nicht persönlich!»

Mein Leben im Jahr vor der Diagnose war in privater und beruflicher Hinsicht schwierig gewesen. Auch die Schmerzen und die Erschöpfung waren unerbittlich, und anstatt wie bisher wieder zu bessern, wurde es immer schlimmer und schlimmer.

Drei verheissungsvolle Buchstaben

Mein Rheumatologe schlug vor, dass ich es mit einem Medikament namens TNF-Alpha-Hemmer versuche. Es würde mein Immunsystem unterdrücken und meinen Körper davon abhalten, sich selbst anzugreifen und mich krank zu machen. Aber hat das Immunsystem nicht eine sehr wichtige Funktion, die ich brauche? Ich schaute wieder ins Internet und blätterte mich durch seitenweise Nebenwirkungen und Warnungen. Langzeiteffekte? Unbekannt. Ich nahm bereits 12 verschiedene Pillen, vor allem Schmerzmittel, aber auch Medikamente gegen Osteopenie, eine Pilzinfektion, einige Naturheilmittel und Medikamente, die wiederum die Nebenwirkungen von anderen Medikamenten reduzieren sollten. Das neue «Wundermittel» machte auf mich zunächst keinen guten Eindruck, weshalb ich mich trotz schwieriger Situation dagegen entschied. Ich war der festen Überzeugung, dass ich, die seit 30 Jahren Yoga gemacht und immer viel Sport getrieben hat, auch ohne neues, schwereres «Medikamentengeschütz» die Kontrolle über meinen Körper zurückerlangen würde.

Das ist, was ich damals dachte. Aber es klappte nicht. Es war egal, was ich tat, ich wurde nur dünner und schwächer. Die Schmerzen waren unerträglich. Die einzige Erleichterung waren starke Schmerzmittel, durch die ich mich aber zusehends wie ein «Zombie» fühlte. Ich nahm sie am Abend, legte mich auf das Sofa und wartete vor dem Fernseher, dass die Wirkung einsetzen würde.

Wendepunkt vor Weihnachten

Als der Winter kam, mit einem Gewicht von 49 Kilogramm und verbraucht von nie endenden Schmerzen, gab ich nach. «Okay, lassen Sie uns den TNF-Alpha-Hemmer probieren», sagte ich zum Rheumatologen. Ich wollte nach London, um an Weihnachten meine Familie zu besuchen, und hoffte, dass ich die Behandlung vor der Reise beginnen könnte. Eine Reihe von Check-ups war nötig, bevor die Behandlung beginnen konnte. Die Vorbereitungen dauerten mehrere Wochen, aber dank den Ärzten war es möglich, dass ich meine Behandlung noch vor Weihnachten, am 23. Dezember, beginnen konnte. Puh!

Die Angestellten im Krankenhaus kümmerten sich wunderbar um mich. Sie gaben mir sogar Tee mit echter Milch. Ein seltener Genuss für mich als Engländerin, wird doch der Tee in der Schweiz normalerweise mit Sahne serviert wird. Sie denken wahrscheinlich, dass ich verrückt bin, aber solche Details sind gerade in schwierigen Situationen wichtig.

Der nächste Tag war Heiligabend und ich flog mit meinen beiden Kindern im Teenageralter nach London. Ich war glücklich, meine Familie zu sehen. Trotz meinem anfänglichen Widerstand gegenüber der Behandlung war ich jetzt sehr positiv. Ich war mir ziemlich sicher, dass es funktionieren würde. Obwohl ich nicht mehr als ein paar Meter laufen konnte, ging es mir gut. Ein Nachbar fuhr uns zum Bahnhof. Am Flughafen hatte ich den Rollstuhl bestellt. Wir konnten als erste ins Flugzeug steigen, sogar die Passagiere mit «Speedy Boarding» mussten warten. Meinen Kindern war es sehr peinlich.

In London wohnten wir bei meiner Mutter. Sie liebt es, am Weihnachtstag zum Gottesdienst zu gehen. Wir gingen sehr langsam und steif zu der Kirche zusammen. Und das Erstaunliche war: Ich war zwar steif, aber der Schmerz war zurückgegangen und ich konnte die 300 Meter laufen! Die Gemeinde sang die alten Weihnachtslieder aus meiner Kindheit und ich weinte während des ganzen Gottesdienstes. Ich fühlte mich zum ersten Mal seit Monaten lebendig. Mein persönliches Wunder war geschehen. Ich fing an, das Leben wieder zu geniessen.

Der Berg ruft

In den folgenden Monaten verabschiedete ich mich langsam von den NSAR (nicht-steroidale entzündungshemmende Medikamente) und anderen Schmerzmitteln. Aber es gab noch viel zu tun, um mein Leben wieder in Gang zu bringen. Wenn der Morbus Bechterew unheilbar ist, was bedeutet das? Gibt es auch Gutes daran, diese Krankheit zu haben? Wie beschränkt sie mich? Oder kann ich vielleicht neue Dinge machen, die ich vor der Diagnose nicht machen konnte?

Seit meiner Studienzeit liebe ich die Berge und bin begeisterte Bergsteigerin. Im Sommer mache ich gerne Hoch- oder Klettertouren auf alpine Gipfel. Im Winter laufe ich mit den Skiern auf die Berge und fahre wieder herunter. So wollte ich baldmöglichst wieder in die Berge gehen. Viele Monate war ich kaum gelaufen, aber mit der Unterstützung meiner Therapeutin kam ich in der Physiotherapie gut voran. Bald traute ich mich, ganz vorsichtig wieder Skizufahren, und im Frühling machte ich die ersten Skitouren. Ich merkte, dass ich mehr Ausdauer hatte als in den letzten Jahren zuvor. Ich war auch beweglicher. Langsam kam mir dann die Idee, dass ich meinen Körper wieder auf die Probe stellen und Sachen unternehmen wollte, die seit vielen Jahren wegen der Müdigkeit nicht mehr möglich gewesen waren. Vielleicht wollte ich dem Morbus Bechterew auch zeigen, wer die Chefin ist. Vor allem aber merkte ich, dass je mehr ich mich bewegte, desto besser fühlte ich mich.

So kam ich auf die Idee, zu trainieren und im Sommer grosse Bergtouren zu versuchen. Ich will mich wieder in den Bergen spüren, die Grenzen ausloten und schauen, was mit Morbus Bechterew möglich ist. Von  dieser Idee, und wie ich sie umzusetzen versuche, will ich in den nächsten Blogs erzählen. Dabei geht eigentlich nicht darum, ob sie mir gelingen oder nicht. Der Weg ist das Ziel. Habe ich das wohl von meinem Morbus Bechterew gelernt?